Sophie Scholl und “die Weiße Rose”

I. Elternhaus und Schule

Sophie Scholl wurde am 9.05.1921 in Forchtenberg (Württemberg) als viertes von fünf Kindern geboren. Ihr Vater Robert Scholl war dort Bürgermeister, die Mutter eine ehemalige Diakonissenschwester. 1930 zog die Familie nach Ludwigsburg (wo Sophie die ersten vier Grundschuljahre verbrachte), 1932 nach Ulm. Hier trat Sophie in die Oberrealschule ein, wo sie 1940 das Abitur bestand. Der Vater gehörte im 1. Weltkrieg zu den wenigen Pazifisten, welche die allgemeine Kriegsbegeisterung ablehnten. Er diente stattdessen in einer Sanitätseinheit. Die Einstellung des Vaters beeinflusste freilich auch die Kinder. Diese empfanden ihr Elternhaus als fortschrittlich, liberal und tolerant. Sophies Empfinden für Gerechtigkeit war stark entwickelt. Sie hatte auch den Mut zu protestieren, wenn sie es für gerechtfertigt hielt. So widersprach sie in der Grundschule mit Erfolg einer Anordnung der Lehrerin, die ihre Schwester Elisabeth in der Klasse einen Platz herabstufen wollte. Andererseits war sie in sich gekehrt und nachdenklich. Entschlüsse mussten reifen. Sie wurden selten spontan gefasst.

II. Konflikt mit der HJ

Anfangs waren die Scholl-Kinder vom aufkommenden Nationalsozialismus begeistert. Die von der “Bewegung” propagierten Werte wie Vaterland, Kameradschaft, Volksgemeinschaft und Heimatliebe sprachen besonders die 12- jährige Sophie, ihre Schwester Inge und ihren Bruder Hans an. Interessiert war die heimatverbundene Sophie auch an den Fahrten, welche die Hitlerjugend unternahm. Die Geschwister traten nacheinander der HJ bei und wurden, da sie sich bewährten, bald zu Jugendführern. Der Vater Robert teilte die Einstellung der Kinder kaum. Auseinandersetzungen waren die Folge. Sophies Begeisterung ließ nach, als ihre Freundin Luise Nathan, ein jüdisches Mädchen, dem BDM nicht beitreten durfte. Die Freundschaft zu Luise hielt sie jedoch bewusst aufrecht. Der Parteitag in Nürnberg 1935, an dem auch Hans teilnahm, führte zu einer völligen Veränderung seiner Einstellung. Der Drill, die vormilitärischen Aufmärsche, die künstliche Euphorie und die Phrasen ernüchterten ihn. Seine Haltung irritierte auch die Geschwister.

III. Kontakte mit der d.j.1.11

Für Hans gewann eine andere Organisation zunehmende Bedeutung: die ” Deutsche Jungenschaft vom 1.11.” (genannt nach dem Gründungstag 1.11.29). Es handelte sich um einen 1933 verbotenen Ableger der bündischen Jugend. Die Gruppe beschäftigte sich mit Literatur (auch verbotener), “entarteter” Kunst und sang bei der HJ verpönte russische, skandinavische und Zigeunerlieder. Die Scholl-Schwestern konnten natürlich nur indirekt am Gruppenleben teilnehmen, wurden aber von ihr beeinflusst, vor allem durch das Lesen ihrer Bücher. Die ungesetzlichen Aktivitäten der d.j.1.11. blieben der Gestapo nicht verborgen. Im November 37 durchsuchten zwei Beamte die Wohnung der Scholls nach verbotenem Material der Gruppe. Inge, Sophie und Werner Scholl wurden abgeholt. Sophie wurde abends wieder entlassen. Inge und Werner blieben acht Tage in Untersuchungshaft. Hans, der bereits beim Militär war, blieb wegen bündischer Umtriebe fast fünf Wochen im Gefängnis. Nach dem Schock der Verhaftung brachen Hans und Inge endgültig mit dem Nationalsozialismus. Sophie, die Nachdenkliche, brauchte noch Zeit, um zu einem endgültigen Urteil zu kommen.

IV. Bruch mit dem Regime

Neben den persönlichen Erfahrungen trugen die politischen Ereignisse v.a. die “Reichskristallnacht” 1938 und der Kriegsbeginn 1939 mit dem Überfall auf Polen wesentlich dazu bei, daß sie Klarheit gewann in ihrer Einstellung zum Nationalsozialismus. Alle Freunde, die eingezogen wurden, mussten ihr versprechen, dass sie niemals schießen würden, eine sicher unrealistische Zusage. Am 23.09.40 schrieb sie an ihren Freund, den Offizier Fritz Hartnagel: ” … Ebenso unrichtig finde ich es, wenn ein Deutscher oder Franzose sein Volk stur verteidigt, nur weil es sein Volk ist.” (Zitat H. Vinke, S.76). Der Offizier konnte naturgemäß ihren Gedanken nur sehr zögernd folgen. Im Winter 41/42 wurde die Bevölkerung aufgefordert, für die in Rußland kämfenden deutschen Soldaten Winterkleidung zu spenden. Sophie war dagegen. Sie begründete ihre Haltung mit den Worten: “Ob jetzt deutsche Soldaten erfrieren oder russische, …ist gleichermaßen schlimm. Aber wir müssen den Krieg verlieren. Wenn wir jetzt Wollsachen spenden, tragen wir dazu bei, den Krieg zu verlängern.” (Zitat H. Vinke, S. 80 nach der Erzählung von F. Hartnagel). Diese Einstellung schockte ihren Freund und hätte ein späteres Zusammenleben wohl erschwert.

V. Zeit zwischen Abitur und Studium

Anfang März 40 bestand Sophie ihr Abitur. Um dem vorgeschriebenen Reichsarbeitsdienst zu entgehen, ließ sie sich als Kindergärtnerin beim Fröbel-Seminar in Ulm ausbilden. Trotzdem wurde sie bei Sigmaringen an der oberen Donau zum RAD eingezogen. Der Außendienst in der Landwirtschaft war zwar schwer. Doch gab es beim Bauern trotz der kriegsbedingten schlechten Versorgungslage in Deutschland immerhin frische Milch und selbstgebackenes Brot. Sophies Vorfreude auf ein normales Leben wurde gedämpft , als sie erfuhr, dass alle angehenden Studenten noch sechs Monate Kriegshilfsdienst zu leisten hatten. Sie tat dies als Kindergärtnerin in Blumberg nahe der Schweizer Grenze .

VI. Studenten für den Widerstand

Im Mai 1942 begann Sophie in München Biologie und Philosophie zu studieren. Dort lernte sie die Freunde ihres Bruders Hans kennen, der hier seit 1939 Medizin studierte: Alexander Schmorell, Christoph Probst und Willi Graf. Außerdem bekam sie engen Kontakt mit Professor Carl Muth, der ihr ein Zimmer in seinem Haus überließ. Muth gab die katholisch-philosophische Zeitschrift “Hochland” heraus, die vom NS-Regime verboten war. Das Christentum war für für Sophie wie für die Gruppe um Hans ein wichtiger Antrieb zum Handeln. Gott bedeutete für die Studentin den Sieg des Lebens über die Zerstörung und forderte von ihr ein gelebtes Christentum. Entscheidend war für sie eine Stelle aus dem Jakobus-Brief : ” Seid Täter des Wortes, nicht Hörer allein.” Berichte von Massendeportationen und -erschießungen in den besetzten Gebieten, über die Beseitigung von geistig Behinderten veranlassten die Gruppe, endlich etwas zu tun. Man entschloss sich in Flugblättern zum Widerstand gegen den “Führer” aufzurufen. Dies war nicht als Appell zur gewaltsamen Befreiung gedacht, sonden das Regime sollte allmählich die Zustimmung der Bevölkerung verlieren.

VII. Die Weiße Rose

Der Sinn des Namens, den sich die Studenten zulegten, ist ungeklärt. E i n e Vermutung legt nahe, dass damit anonyme, unbeschriebene Blätter gemeint waren. In einem Münchener Atelier entstanden zwischen Mai und Juli 42 die ersten vier Flugblätter in einer Auflage von zunächst einigen hundert Exemplaren. Sie trugen den Titel: ” Die Flugblätter der Weißen Rose.” Sophie las die Ausfertigungen und stimmte dem Inhalt voll zu, ohne anfangs etwas von den Urhebern zu ahnen. Durch ihren Bruder Hans wurde sie aber bald eingeweiht. Während das erste Flugblatt zum passiven Widerstand gegen eine verbrecherische Regierung aufrief, war der Inhalt der folgenden drei Flugblätter konkreter. Sie wiesen u.a. auf den Mord an polnischen Juden und die Verschleppung polnischer Mädchen in Bordelle der SS hin. Die Münchener reagierten unterschiedlich: Einige brachten das Flugblatt zur Polizei. Andere ließen es irgendwo verschwinden. Manche aber hatten den Mut, es abzutippen und weiterzugeben. Von Juli bis Oktober 42 wurden die Aktionen unterbrochen, weil Hans und seine Freunde an die russische Front abberufen wurden. Im August 42 wurde Robert Scholl, der Vater, wegen abfälliger Äußerungen gegenüber Hitler (“eine große Gottesgeißel”) zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Sophie musste noch zwei Monate in einem Rüstungsbetrieb arbeiten. Beide Ereignisse bestärkten sie in dem Entschluß, aktiv im Widerstand mitzuwirken.

VIII. Erweiterung der Untergrundtätigkeit

Nach der Rückkehr aus Rußland erweiterten die Studenten vorsichtig die Widerstandsgruppe. U.a. schloss sich der Philosophiedozent Kurt Huber der “Weißen Rose ” an. Infolge der zunehmenden Luftangriffe wurde die Arbeit immer gefährlicher. Bei jeder Luftwarnung wurde das Vervielfältigungsgerät, das mit einer Kurbel zu bedienen war, im Keller eines Ateliers einer Buchhandlung unter Pappkartons versteckt. Sophie besorgte Matrizen und Papier, wobei sie öfters das Geschäft wechseln musste, um sich nicht verdächtig zu machen. Nur ein Teil der Flugblätter wurde in München verteilt, die übrigen in andere Städte gebracht. Sophie pendelte häufig mit dem Zug zwischen Augsburg, Stuttgart und Ulm, ihre alte Schulmappe oder einen Rucksack mit Flugblättern gefüllt. Um einer Kontrolle durch Gestapo-Beamte zu entgehen, legte sie das Gepäck zu Beginn der Reise an einen unauffälligen Ort im Zug ab, nahm im nächsten Abteil Platz und holte es kurz vor der Ankunft wieder ab. Andere Mitglieder der Gruppe sorgten auf ähnliche Weise für die Verteilung der Flugschriften, u.a. in Berlin, Salzburg und Wien. Das fünfte Flugblatt vom Januar 43 war radikaler abgefasst, enhielt aber auch zukunftsweisende Gedanken: ” Der Krieg geht seinem sicheren Ende entgegen. … Hitler kann den Krieg nicht mehr gewinnen, nur noch verlängern. … Das kommende Deutschland kann nur föderalistisch sein. …Die Arbeiterschaft muss durch einen vernünftigen Sozialismus aus ihrem Zustand niedrigster Sklaverei befreit werden. …” (Zitat W. Hofer, S. 328) Inzwischen war die Gestapo in München aufs Höchste beunruhigt. Sie bildete eine Sonderkommission mit dem ausschließlichen Ziel, die Widerstandsgruppe aufzuspüren.

IX. Skandal im Deutschen Museum

Anlässlich der 470-Jahr-Feier der Hochschule am 13.1.43 hielt der Gauleiter Paul Gießler im Deutschen Museum eine Rede, in der er u.a. die Studentinnen aufforderte, lieber dem Führer ein Kind zu schenken, anstatt sich auf der Universität herumzutreiben. Weniger hübschen Mädels werde er einen seiner Adjutanten zuweisen. Es kam zu einem offenen Aufruhr aller Studenten. Doch immerhin entschuldigte sich Gießler in einer weiteren Versammlung. Die Mitglieder der “Weißen Rose” wußten jetzt, dass sie nicht ganz wehrlos waren. Die Gestapo aber verdoppelte seit dem 13. Januar ihre Anstrengungen, um den Widerstandsgeist zu unterdrücken.

X. Verhaftung und Verhöre

Am 1.2.43 kapitulierten die letzten Angehörigen der 6. Armee vor Stalingrad. Das 6. und letzte Flugblatt wurde in der stärksten Hoffnung auf einen Sturz Hitlers verfasst: “Kommilitonen! Kommilitoninnen! Erschüttert steht unser Volk vor dem Untergang der Männer von Stalingrad. Dreihundertdreißigtausend deutsche Männer hat die geniale Strategie des Weltkriegsgefreiten sinn- und verantwortungslos in Tod und Verderben gehetzt. Führer, wir danken dir! Es gärt im deutschen Volk: Wollen wir weiter einem Dilettanten das Schicksal unserer Armeen anvertrauen? Wollen wir den niedrigsten Machtinstinkten einer Parteiclique den Rest unserer deutschen Jugend opfern? Nimmermehr! Der Tag der Abrechnung ist gekommen, der Abrechnung der deutschen Jugend mit der verabscheuungswürdigsten Tyrannis, die unser Volk je erduldet hat. Im Namen des ganzen deutschen Volkes fordern wir vom Staat Adolf Hitlers die persönliche Freiheit, das kostbarste Gut der Deutschen, zurück, um das er uns in der erbärmlichsten Weise betrogen. …” (Zitat Vinke, S.159) Als das Flugblatt fertig war, verteilten Hans und Sophie die Exemplare in der Universität. Es war Donnerstag, der 18. Februar 43. Während die Vorlesungen noch andauerten, legten sie die Abzüge auf Treppen und Fensterbänke. Als sie schon wieder draußen waren, fiel ihnen auf, dass noch ein kleiner Rest übrig war. Diesen warfen sie dann von oben in den Lichthof der Universität. Während sie die Treppen hinunter liefen, kam ihnen der Hausmeister Jakob Schmid entgegen. Er packte sie am Arm, schrie wiederholt: “Sie sind verhaftet” und ließ die Gestapo alarmieren. Während des Kreuzverhörs noch im Lichthof und darauf im Wittelsbacher Palais, der Gestapo-Zentrale, bestritten die Studenten, etwas mit den Flugblättern zu tun zu haben. Doch gefährliche Indizien belasteten die Geschwister stark. Bei Hans fand man ein aufgesetztes, wenn auch zerrissenes Flugblatt von Christoph Probst. Die Polizei konnte es aber identifizieren. Probst wurde am nächsten Tag verhaftet. Bei der Durchsuchung der Zimmer von Sophie und Hans fand die Gestapo außerdem einige hundert Achtpfennig-Briefmarken – postfrisch. Als die Geschwister merkten, dass weiteres Leugnen sinnlos war, nahmen sie, um ihre Freunde zu schützen, alle Schuld auf sich. Sophie wurde von Robert Mohr vernommen, einem Gestapo – Beamten, der das Verhör sachlich und fair leitete. Er wollte ihr sicherlich eine Chance bieten, als er sie fragte: “Fräulein Scholl, wenn Sie das alles bedacht hätten (er meinte u.a. die Zersetzung der deutschen Wehrkraft), so hätten Sie sich doch nie zu derartigen Handlungen hinreißen lassen.” (Zitat Vinke, S.179). Es zeugt von Sophies schlüssigem Denken und ihrer Ehrlichkeit, als sie antwortete: “Sie täuschen sich, ich würde alles genau noch einmal so machen” (Entsprechend dem Bericht einer Mitgefangenen. Zitat Vinke, S.179/180)

XI. Prozess und Urteil

Das Verfahren vor dem Volksgerichtshof wurde für den 22. Februar 43 angesetzt. Der Präsident Robert Freißler war für dieses Verfahren mit einer Sondermaschine von Berlin nach München geflogen. Nach dem Zeugnis des damaligen Gerichtsreferendars Dr.Samberger ging es Freißler darum, Schrecken zu verbreiten und die Angeklagten als Verbrecher hinzustellen. Auf die unverschämten Fragen des Vorsitzenden, der sich mehr als Ankläger denn als Richter aufspielte, antworteten die Geschwister und Probst (der mitangeklagt war) ruhig und gefasst. Sophie erwiderte einmal: “Was wir sagten und schrieben, denken ja so viele. Nur wagen sie nicht, es auszusprechen.” (Zitat I. Scholl, S.61) Der Vater von Hans und Sophie, der verzweifelt versuchte, sich zu Gunsten seiner Kinder Gehör zu verschaffen, wurde aus dem Saal geführt. Nach einer 5 stündigen Verhandlung verkündete Freisler das Urteil: “Tod durch das Beil. Zusammen mit Christoph Probst wurden die Scholl-Kinder in das Vollstreckungsgefängnis München-Stadelheim überführt, wo sie ihre Abschiedsbriefe schrieben. Zwischen 10 und 17 Uhr gelang es den Eltern von Hans und Sophie, ihre Kinder noch einmal zu sehen. Zu ihrer Mutter sagte Sophie überzeugt: “Wir haben alles, alles auf uns genommen. Das wird Wellen schlagen.” (Zitat I. Scholl, S. 64). Minuten später erfolgte die Hinrichtung. Die Urteilsbegründung des Volksgerichtshofes gegen die Geschwister Scholl und Christoph Probst lautete: “…Die Angeklagten haben im Kriege in Flugblättern zur Sabotage der Rüstung und zum Sturz der nationalsozialistischen Lebensform unseres Volkes aufgerufen, defaitistische Gedanken propagiert und den Führer aufs gemeinste beschimpft und dadurch den Feind des Reiches begünstigt und unsere Wehrkraft zersetzt. Sie werden deshalb mit dem Tode bestraft. Ihre Bürgerehre haben sie für immer verwirkt.” (Zitat I. Scholl, S.105)

Rother

Quellenangaben:

Herman Vinke: Das kurze Leben der Sophie Scholl, Ravensburger Buchverlag, 1997

Inge Scholl: Die Weiße Rose, Fischer Taschenbuch Verlag, 2001

Der Nationalsozialismus, Dokumente 1933 – 1945, herausgegeben von Walter Hofer, Fischer Bücherei, Frankfurt a.M. 1957